Warum fällt es uns nur so schwer, es uns leicht zu machen?
Eine ganz persönliche Perspektive
Vor einigen Tagen spricht mich ein Freund an. Ob ich einen kleinen Kreativ-Workshop zur Namensfindung seines neuen Startups moderieren kann. Klar kann ich das! Ohne groß nachzudenken sagte ich zu. So läuft es oft: Meine Erfahrung, meine Intuition und vermutlich auch mein Ehrgeiz leiten die Entscheidung.
Doch nach dem ersten Hoch, der Freude darüber, dass ich gefragt werde, dass mir die Aufgabe zugetraut wird, beginnt der Denkprozess: Man hat mich ausgewählt, man vertraut mir. Deshalb darf ich nicht enttäuschen. Es muss perfekt werden. Mein Leistungsanspruch, die Erwartungen an mich selbst steigen ins Unermessliche. Ich fange an, mir viele Gedanken zu machen: vom Konzept, über den Ablauf des Workshops, bis hin zu dem, was die Teilnehmer über mich denken werden. Was passiert, wenn es gut wird, aber auch wenn es weniger gut läuft? Dieses Gedankenkarussell kann mich tagelang beschäftigen.
Ich feile also am Konzept, bereite Inhalte in verschiedensten Varianten vor, ergänze sie, verwerfe sie wieder, beschreibe Flipcharts und notiere mir Fragen und Sprechertexte. So packe ich die Veranstaltung mit all meinen Ideen voll und mein „Workshop-Koffer“ wird immer schwerer und unübersichtlicher. Irgendwann sehe ich den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr. Und dann reift die Erkenntnis: Was davon ist wirklich relevant und sinnvoll? Von welchen meiner vielen tollen Ideen verabschiede ich mich jetzt? Ich spüre die Last der überhöhten Anspruchshaltung. Vor allem – vielleicht ausschließlich – meiner eigenen.
Mit etwas Abstand betrachtet, entpuppen sich manche der übereilt entwickelten Aktivitäten als unsinnig und haben bei der Vorbereitung auch noch zu viel Energie gekostet. Die hohen Ansprüche an mich selbst schaden dann eher, als dass sie dem Kunden etwas bringen und zu einem guten Ergebnis beitragen.
Das Problem: Je höher die Ansprüche an mich selbst, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass ich unsicher werde und mit dem Ergebnis unzufrieden bin. Und das spürt natürlich auch der Kunde. Und wenn der Kunde nicht zufrieden ist, dann habe ich versagt. Ich fühle mich schlecht, mein Selbstvertrauen geht in den Keller. Ein zermürbender Teufelskreis...
So oder so ähnlich kann es laufen. Diesmal aber nicht: Für den Kreativ-Workshop mit dem Startup mache ich mir nur ein paar grundlegende Gedanken, schreibe einige Notizen als Gedankenstütze und bespreche den groben Ablauf mit den Unternehmensgründern. Ansonsten verlasse ich mich voll und ganz auf meine Erfahrung, auf mein Gespür für Gruppendynamik, auf mein Situations- und Prozessverständnis und auf mein Improvisationstalent. Ich bin zuversichtlich, dass es gut wird. Ich habe Selbstvertrauen. Das Ergebnis: Der Workshop ist erfolgreich, das Feedback positiv, das Ergebnis gut. Und ich erkenne: Es geht auch mit weniger, es geht auch leichter.
„Will man Schweres bewältigen, muss man es leicht angehen“ (Bertold Brecht)
Das ist ja schön und gut. Und dennoch drängt sich der Gedanke auf: Mache ich es mir zu leicht? Bin ich vielleicht sogar leichtsinnig? Oder anders gefragt: Warum machen wir es uns eigentlich so oft unnötig schwer?
Die Gründe können vielfältig sein: Mal ist es Perfektionismus, mal ist es Ehrgeiz, mal Stolz, mal Selbstzweifel, mal das Bedürfnis nach Geltung oder Zugehörigkeit. Dahinter stecken Glaubenssätze, die wir schon früh gelernt haben: „Streng dich an“, „Sei perfekt“, „Das reicht nicht“, „Was sollen die anderen von dir denken?“ Wir versuchen dann, härter zu arbeiten als alle anderen, haben Angst, Fehler zu machen, kontrollieren alles mehrfach, packen mehr auf unsere To-Do-Listen, als wir bewältigen können. Wir sind ungeduldig mit uns selbst und anderen und es fällt uns schwer, um Hilfe zu bitten.
Ehrgeiz, Perfektionismus und Stolz sind prinzipiell nicht falsch oder schlecht – sie sind aber nur im gesunden Maße förderlich. Bei zu starker Ausprägung oder in den falschen Situationen belasten sie uns eher, lösen Stress aus und machen uns das Leben unnötig schwer. Überhöhte Ansprüche führen dazu, dass wir nicht mehr loslassen und genießen können. Wir akzeptieren uns nicht so wie wir sind. Wir stehen uns selbst im Wege und verhindern so Weiterentwicklung und Wachstum.
Zurück zu meinem Workshop-Beispiel: Warum fallen mir Konzeption, Planung und Umsetzung von solchen Kreativ-Workshops (und anderen Training-Formaten) heute so leicht? Ganz einfach: Weil es mir Spaß macht. Weil ich merke, dass ich damit Wert schaffe. Weil ich mich in meinem Element fühle, wenn ich Menschen in einer Gruppe zu Gedankenaustausch und Kreativität anleiten kann. Weil es mich auf eine gesunde Art fordert.
Und trotzdem: Ich bin kein Naturtalent. Mit dieser Fähigkeit bin ich nicht zur Welt gekommen. Es war auch für mich mal schwer. Wie viele meiner Workshops sind schon aus dem Ruder gelaufen, haben kein zufriedenstellendes Ergebnis gehabt? Wie oft habe ich in verständnislose und gelangweilte Gesichter geschaut? Wie oft bin ich an der Gruppendynamik gescheitert, konnte Diskussionen nicht in einen fruchtbaren Dialog lenken, Fragen nicht beantworten? Wie oft stand ich sprachlos da und wäre am liebsten im Boden versunken? Wie oft dachte ich: Das war nicht gut. Das war die Zeit und Energie der Menschen nicht wert. Ärger, Scham, Enttäuschung begleiteten mich anschließend tagelang.
Aber ich habe den Kopf nicht hängen lassen. Ich habe meine Fehler akzeptiert und mich trotzdem nicht als Versagerin gesehen. Ich nehme solche Gelegenheiten zum Anlass, über mich selbst und über meine Arbeit nachzudenken, nehme das Feedback der Teilnehmer und Auftraggeberinnen ernst, gebe nicht auf, probiere nächstes Mal etwas Anderes, vielleicht auch mal etwas ganz Neues, bleibe gelassen und bitte um Hilfe.
Das ist einfacher gesagt als getan, ich weiß. Wichtig ist aber vor allem, sich nicht zu bestrafen, sich nicht schlecht- oder kleinzureden auch wenn man sich schlecht oder klein fühlt. Ich schenke meinem inneren Kritiker genauso viel, oder besser gesagt, nur so viel Raum und Gehör wie der Akzeptanz und dem Verständnis. Denn letztendlich tragen viele verschiedene Faktoren zum Erfolg oder Scheitern einer Tätigkeit in einer konkreten Situation bei, nicht nur meine persönliche Performance, auch wenn sie mit viel Mühe, Energie und Aufwand verbunden ist.
Etwas mit Leichtigkeit tun heißt also, überhöhte Ansprüche wieder auf ein vernünftiges Niveau zu bringen, die eigenen Grenzen zu erkennen und zu akzeptieren, und seine Energie sorgsam einzusetzen, so dass das Ergebnis der Anstrengung in vernünftigem Verhältnis zum Einsatz steht. Das bedeutet nicht, dass ich eine Aufgabe ohne Sorgfalt und Engagement erledige. Es sich leicht machen heißt schon gar nicht, das Gehirn abzuschalten oder gar keine Ansprüche zu haben. Es muss und es wird auch nicht immer leicht sein.
Aber häufig machen wir uns den Alltag beruflich wie privat an vielen Stellen viel zu schwer. Es sich leicht machen heißt, achtsam mit sich zu sein und für sich zu sorgen. Nur wenn ich es zulasse, wenn ich mir erlaube, dass es leicht sein darf – weil ich Talent, Erfahrung und Vertrauen in meine Kompetenz habe – wird es auch leicht. Ich lasse zu, dass Arbeit leicht sein darf. Dazu gehört auch, dass ich es akzeptiere und aushalte, wenn es mal nicht so gut läuft. Das ist Selbstverantwortung.
Diese selbstverantwortliche Grundhaltung ist Voraussetzung dafür, dass Dinge gut gelingen können. Mit Selbstverantwortung gelingt mir die Arbeit besser, sind meine Kunden zufriedener und schaffe ich für mich ein stimmiges Gefühl von Wert und Sinnhaftigkeit. Am Ende ist es das, was mich immer noch am meisten antreibt und gleichzeitig die größte Belohnung für mich ist.